„Ansicht von Dietkirchen, 1862“,
in: Historische Ortsansichten
<https://www.lagis-hessen.de/de/subjects/idrec/sn/oa/id/574>
(Stand: 10.4.2007)

Geschichte des Ortes Dietkirchen

Graue Vorzeit 

Die Geschichte des Ortes Dietkirchen geht sicherlich weit in vergangene Zeiten zurück. Aus der Zeit der Germanen hat sich bis auf den heutigen Tag die Kenntnis von einem heidnischen Kultort auf dem Kalkfelsen bei Dietkirchen gehalten, legt dieser exponierte alleinstehende Felsen an der Lahn doch auch gleich schon beim ersten Betrachten automatisch die Vermutung nahe, dass es sich hier um einen besonderen Ort handelt. Man spürt schon von weitem eine Energie, die dieser Felsen innehat und ausstrahlt. Diese Kenntnis um einen heidnischen Kultort wurde bestärkt durch die Grabungen, die Mitte und Ende der 50er Jahre des 20. Jahrhunderts im Zusammenhang mit der Installation einer Warmwasserheizung 1955/1957, sowie im Sommer 1965 in der Kirche St. Lubentius durchgeführt wurden. Aufgrund von Scherbenfunden lässt sich nachweisen, dass dieser Felsen bereits seit dem Neolithikum (Jungsteinzeit), also einer Zeit zwischen 5000 und 2200 Jahre v. Chr. besiedelt bzw. genutzt wurde. Diese Besiedelung wurde weitergeführt in der Urnenfelderzeit (Bronzezeit) und der Hallstattzeit bzw. der Latenezeit (Eisenzeit). Siehe dazu auch Kurzbericht von Karl Wurm in Wilhelm Schäfer: Die Baugeschichte der Stiftskirche St. Lubentius zu Dietkirchen im Lahntale, 1966, Selbstverlag der Historischen Kommission für Nassau. Wurm geht ebenfalls davon aus, dass die Anhöhe in Frühzeit ggf. befestigt war und nur über einen schmalen Weg erreichbar war.

In seinem Vorbericht über die Abschlußausgrabungen im Sommer 1965, siehe dazu den Artikel mit dem Titel: „Vorbericht über die Abschlußgrabung unter der Stiftskirche von Dietkirchen/Lahn im Sommer 1965“ in „Fundberichte aus Hessen, 5.u. 6. Jahrgang, 1965/66, Verlag Rudolf Habelt Verlag, Bonn“, berichtet K. Wurm auch von einem Skelettfund, der allerdings zeitlich nicht einzugrenzen ist, sowie von zahlreichen Scherbenfunden, die der Urnenfelderultur zuzuordnen sind. Weiterhin wurden ein Steinbeil gefunden und innerhalb diverser Tierknochen auch ein weiteres kleines scharfgeschliffenes Steinbeil. Eine Untersuchung der Tierknochen durch Institutionen der Universität Mainz sollte Aufschluß darüber geben, ob es sich bei den Knochenfunden um einen neolithischen Jagdplatz oder um einen Opferplatz handelt. Leider konnte der Verfasser dieses Webseitentextes bisher keine literarische Quelle mit Ergebnissen dieser Untersuchungen finden.

Gerichtsbarkeit

Vielfach wird in verschiedenen Literaturquellen aufgezeigt, dass dieser Ort auch Hain genannt worden sei und dass hier Gericht gehalten worden sei. Dem kann aufgrund der Befunde von 1955/57 und den Forschungsergebnisse von K. Wurm nicht zwingend zugestimmt werden. Dennoch gibt auch hier die Literatur Hinweise, demzufolge das germanische Thing, das sowohl Volksversammlung als auch Gerichtsversammlung war, hier abgehalten worden sein könnte. Beliebte Thingplätze sollen auch Stammesheiligtümer gewesen sein, die meist in Hainen oder auf Erhebungen gelegen sein sollen. Demzufolge ist es sicherlich damit trotzdem nicht ganz ausschliessbar, dass auf dem Felsen auch Versammlungen stattgefunden haben mögen und damit auch Gerichtsverhandlungen.

Die Gerichtsbarkeit spielt auch weiterhin in Dietkirchen eine große Rolle. Der Reckenforst, der gerichtliche Versammlungsort des Diezer Grafen, lag in unmittelbarer Nähe. Er wird schon 1217 urkundlich im Codex Oculus Memoriae der Eberbacher Zisterzienser erwähnt. Dort heisst es, dass ca. 1190 ein Ehepaar aus Niederhadamar sein Hofgut dem Kloster übereignet hat. Dies soll bei einem öffentlichen Gerichtstermin, der auch Landesthing (landtgedinge) genannt wurde, geschehen sein. Dieser Verhandlung soll Graf Gerhard von Diez selbst im Reckenforst (in reckenvorst ) vorgesessen haben. Die Versammlungsstätte selbst wurde auch THING genannt. Siehe hierzu auch die Abhandlung Reckenforst von Peter Paul Schweitzer. Auch der Limburger Chronist Tileman Elhen von Wofenhagen berichtet in seiner Chronik von einer Verhandlung auf dem Reckenforst. So hat 1367 ein Frei von Dehrn, Friedrich Frei von Dehrn, den Diezer Grafensohn Johan erstochen. Friedrich wurde in Dehrn gefangen und nach Diez geführt. Gerhard, der Bruder des erstochenen, berief darauf ein Landtgericht auf dem Reckenforst, bei dem das Todesurteil gegen den Frei von Dehrn gefällt wurde und ihm sein Haupt abgeschlagen wurde. „Der selbe Frige hiß Frederich, ein strenge ritter von funfzig jaren, unde was ein recht frige geboren von allen sinen vir annichen. Unde wart he gefangen zu Derne uf dem huise unde wart gefurt gen Ditze. Unde greb Gerhard, junghern Johans bruder, det ein lantgerichte bescheiden zu Reckenforst, unde wart dem vurgenanten Frigen sin heupt abegeslagen unde wart begraben von stunt gen Limpurg zu den barfußen.“


gezeichnete Karte von Conrad Forth, 1696,
Kartensammlung im Stadtarchiv Limburg
„I“ stellt die Lokation des Reckenforst dar

Urkundliche Benennung Dietkirchens

Die uns bekannte älteste Erwähnung Dietkirchens findet sich in einer Urkunde über ein Geschenk eines Nentershäuser Geistlichen 841 an das Lubentiusstift in Dietkirchen. So heisst es beispielsweise in einer Abhandlung von Pfarrer Ferdinand Ebert, Oberelbert im Jahrbuch für das Bistum Limburg von 1958, dass in einer von Brower-Masen (Jesuit und Historiker 1599-1617) in dessen Werk Metropolis genannten Urkunde des Diakons Adelbert, habe dieser Adelbert „famulus et coenobita“ (Diener und Mönch) des Hl. Lubentius am 13. Mai 841 seine „cella“ zu Nentershausen dem „manosteriolum“ des Hl. Lubentius zu Dietkirchen vermacht.

Christianisierung und Lubentius

In der Geschichte des Dorfes ist die Christianisierung ein Einschnitt. Nach heutiger Kenntnis sind die christlichen Missionare vom Neuwieder Becken her in das Lahngebiet gekommen und dies im 5./6. Jahrhundert.

Da die Ausgrabungen in der St. Lubentiuskirche 1955-57 eine erste schlichte Steinkirche um 730 belegen konnten, ist eigentlich davon auszugehen, dass es schon vor dem Bau dieser Steinkirche christliche Aktivitäten auf dem Felsen, auf dem die Kirche gebaut ist, gegeben hat. In der frühen Missionarisierung wurden sehr oft heidnische Stätten durch kirchliche Bauten überlagert. So wird es auch dem germanischen Heiligtum in Dietkirchen, das dem höchsten germanischen Gott Tit geweiht sein sollte, der auch Thuit oder Ziu genannt wurde, ergangen sein. Man geht davon aus , dass eine allererste christliche Stätte am Ort der 1838 abgerissenen Stefanuskapelle existiert haben mag. Es war in der frühcristlichen Zeit durchaus geübter Brauch von Missionaren, heidnische Plätze mit Kirchen oder Kapellen zu überbauen, die dem Hl. Michael oder auch dem Hl. Stefanus gewidmet waren.

Lubentius, der Schutzpatron von Dietkirchen, soll im 4 Jahrhundert n. Chr. gelebt haben und 360 n.Chr. gestorben sein. Sein Hauptwirkungsgebiet war in Kobern an der Mosel.

Nach mündlicher Tradition, die sich auf eine legendär berichtete Übertragung des Leichnams des hl. Lubentius 839 beruft, soll Lubentius als Missionar in Dietkirchen gewesen sein. Das ist unwahrscheinlich, aber auch nicht ausgeschlossen, wurde doch die römische Reichsgrenze 352 und 355 von Alemannen, Franken und Sachsen überrannt und praktisch vernichtet. Zu dieser Zeit war Lubentius Pfarrer in Kobern. Es ist also durchaus möglich, dass hinter den Legenden eine historische Wahrheit liegt: Lubentius war in Dietkirchen, obwohl es eigentlich in der Wissenschaft überwiegend unstrittig scheint, dass der in Dietkirchen verehrte Heilige St. Lubentius wohl nicht selbst in Dietkirchen missioniert und gepredigt hat. In den wissenschaftlich historischen Betrachtungen tendieren eigentlich fast alle dazu, dass es zwar die historische Gestalt des Hl. Lubentius wohl gegeben hat, sein persönliches Wirken in Dietkirchen aber eher unwahrscheinlich sogar nicht realistisch gewesen ist.

Es ist mit gutem Grund anzunehmen, dass zwischen 836 – 840 n.Chr. die Gebeine des hl. Lubentius von Kobern an der Mosel nach Dietkirchen übertragen wurden. Als Translationsdatum (Datum der Übertragung der Gebeine) wird in allen Literaturquellen der 6. Februar angegeben. Die Translationslegende ist bis heute von vielen Historikern anlysiert und erforscht worden. Alle ihre Urteile kommen zu dem Schlusse, dass an dieser Legende selbst der Wahrheitsgehalt gering bis überhaupt nicht vorhanden ist. Warum Dietkirchen als Bleibeort eines großen Teiles der Reliquien des Hl. Lubentius gewählt wurde, ist nach allen Interpretationen immer noch offen. Am wahrscheinlichsten erscheint die These, dass das Erzbistum Trier mit der Translatio einen kirchlichen Stützpunkt auf der rechten Rheinseite gründen wollte, da laut der  Translationslegende hohe Würdenträger, z. B. der Erzbischof von Köln, als Mitwirkende bei der Translatio genannt waren. Möglich wäre auch, dass Trier auch dem Erzbistum Mainz gegenüber seinen Anspruch auf das Lahngebiet manifestieren wollte.

Hl. Lubentius


Joachim Schäfer – https://www.heiligenlexikon.de


Reliquiensockel für die Büste des heiligen Lubentius in Messing-vergoldet mit Bergkristall und Rubin im Jahr 2016


Luthmer Band III S. 157
Dietkirchen Reliquiar des heiligen Lubentius


Abbildung aus Jahrbuch für das Bistum Limburg 1958

Wie kam der Hl. Lubentius nach Dietkirchen

Die Sage berichtet, dass, nachdem Lubentius in Kobern gestorben sei, niemand den Sarkophag bewegen konnte, in dem man ihn mit seinem Leichnam bestatten wollte. Er konnte nicht von der Stelle bewegt werden. Dies wurde als Strafe  dafür gesehen, dass die Koberner seine Lehren missachtet haben und weiterhin zum Teil ihren heidnischen Riten und Sitten nachgingen. Weder die Priester noch Bischöfe von Trier oder Köln, die ebenfalls nach Kobern gekommen waren, um Lubentius mit zu ihren Kirchen  mitzunehmen, waren erfolgreich, der Sarg konnte nicht bewegt werden. Nach langer Beratung sollte dann ein Gottesurteil über das weitere Vorgehen entscheiden. Ab diesem Moment konnte der Sarkophag bewegt werden. Das Wasser sollte bestimmen, wohin der Weg von Sarkophag und Leichnam gehen sollte. Der Sarg wurde also in einen Kahn gesetzt und vom Ufer der Mosel abgestossen. Von Kobern trieb der Nachen dann bis zur Mündung in den Rhein, von dort zog er allerdings rheinaufwärts, vorbei an Koblenz und trieb dann in die Lahn bis er in Lahnstein landete. Dort soll eine Frau dem Lubentius ihren gesamten Besitz übereignet haben, ihre Schwester, die nichts geben wollte, soll in eine geistige Umnachtung gefallen sein. Als am nächsten Tag das Schiff wieder lahnaufwärts fuhr, soll die Umnachtung geschwunden sein. Schnell setzte die Schwester auf das andere Ufer über, an dem das Schiff noch einmal Halt gemacht hatte und beschenkte Lubentius ebenfalls. Der Legende nach soll dann dort eine heilige Quelle entsprungen sein, die nach Lubentius benannt wurde. Das Schiff wurde danach weitergetrieben, bis es 8 Meilen vom Rhein entfernt in Dietkirchen am Ufer der Lahn landete und sich nicht mehr von der Stelle bewegte. Laut der Legende sollen dann die das Schiff am Ufer begleitende fromme Männer, Kleriker wie Laien, den Leichnam in Empfang genommen haben und ihn unter Lobpreisungen von Hymnen und Psaltern in der Kirche auf dem Felsen zur Ruhe gesetzt haben. Der Felsen soll bei der Landung durch ein Erdbeben erschüttert worden sein.

 Genau an dieser Grabstelle wurde dann später die St. Lubentiusbasilika errichtet, in der die sterblichen Überreste des Heiligen nachweislich seit dem 9. Jahrhundert bis zum heutigen Tage aufbewahrt werden.

Abbildung aus Jahrbuch für das Bistrum Limburg 1958


Schäfer-W_Sarkophag Lubentius

Sarkophag des Hl. Lubentius in der Kirche in Dietkirchen
Abbildung aus Wilhelm Schäfer, St. Lubentius zu Dietkirchen, S. 157, Wiesbaden 1966

Die Kirche St. Lubentius in Dietkirchen

Um 580 herum wurde auf dem Kalkfelsen in Dietkirchen in der Form der Superstition eine hölzerne Kapelle errichtet, die um 730 von einer ersten steinernen Kirche abgelöst wurde. Das Stift ist höchstwahrscheinlich zwischen 830 und 838 errichtet worden. Bei der Festigung des christlichen Glaubens im Lahngau hat das Stift eine bedeutsame Rolle gespielt, wurde es doch zum Sitz des Trierer Archidiakons, der das ganze rechtsrheinische Gebiet Triers leitete, bestimmt. Das blieb so bis zur Auflösung des Stiftes 1803.

Der Bau der heutigen einzigartigen romanischen Kirche wurde vor dem ersten Jahrtausend begonnen und in den 30er Jahren des 13. Jahrhunderts vollendet. Ihr Weihetag ist wohl der 1. Sonntag nach Oswald (05.08.) im Jahre 1225. So wird in Dietkirchen am 1. Sonntag im August Kirmes gefeiert.

Die Erforschungen in den 50er und 60er Jahren des 20ten Jahrhunderts haben nachfolgende bauliche Entwicklung aufgezeigt.

Kirche I
Saalkirche mit eingezogenem geraden Chor, im Norden und Süden je ein Annexbau. Die Kirche ist damit merowingisch oder frühkarolingisch, vermutlich um 730.

Kirche II
Dreischiffige Basilika mit um Mauerstärke vorspringendem schmalem Querschiff, leicht gestelzte Mittelapsis, kräftiger Westturm (Wehrturm), der sich zum Mittelschiffin einer Doppelarkade öffnet. Im ersten Turmgeschoß vermutlich ein Kapellenraum mit Arkadenöffnung zum Schiff. Die Kirche ist damit ottonisch oder frühsalisch, etwa um 1000. In diese Zeit wird auch der Bau der Michaelskapelle datiert.
Vergrößerung des Stiftkapitels. Beisetzung des Stiftpatrons St. Lubentius in einer gemauerten Gruft vor dem Altar in der Apsis.

Kirche III
Die Kirche III besteht aus 4 Bauabschnitten.

Kirche IIIa
Erweiterung nach Osten und Westen bis zum steilen Felsrand. Die Ostpartien stehen auf einem wuchtigen Unterbau, in dem ein polygonaler Gang als Verbindungsweg von Norden zu den südlich gelegenen Stiftgebäuden angelegt ist. Die Breite der Kirche entsprach der Kirche II, das Querhaus wurde stark verbreitert und erhielt eine Mittelapsis mit Vorchorjoch und zwei Seitenapsiden.
Kirche IIIb

Abbruch und Neubau des Langschiffes. Vermauerung der zu dem Schiff geöffneten Bögen  der Zweiturmanlage. Verschmälerung und Erhöhung des Querbaus, Erhöhung der Mittelapsis. Vollendung der Turmfront, Zeltdächer. Um 1100 oder Anfang 12 . Jh., frühstaufisch.
Kirche IIIc
Hinzufügung von echten Emporen und offener westlicher Steinempore. Höherlegung der Langhausflachdecke und des Obergadens. Anbau einer Emporentreppe im Norden. Umbau der Turmzeltdächer zu rheinischen Rautendachhelmen. Neubau der Sakristei. 2. Hälfte oder drittes Drittel 12 Jh.
Kirche IIId

Einwölbung des Querhauses unter Hinzufügung zweier schlanker Pfeiler. Abbruch des Tonnengewölbes der sogenannten „Gruft“. Einwölbung der Sakristei. Entstehung der Dreifaltigkeitskapelle. Um 1240 bzw. 2. Viertel des 13. Jh.

Die erste steinerne Kirche, von der noch eine Kalksteinsäule des 9. Jahrhunderts im Diözesanmuseum in Limburg ist, wurde nach Meinung einiger Unterlagen am 22. November 838 geweiht. Dies wird aber von einem der größtern Kenner der Stift und Kirchengeschichte von St. Lubentius zu Dietkirchen, Wolf-Heino Struck, nicht so gesehen. Zitat aus seinem Buch: DAS ERZBISTUM TRIER, Band 4, DAS STIFT ST. LUBENTIUS IN DIETKIRCHEN:

„Unter der Voraussetzung, daß die Kirchweihe vorschriftsmäßi an einem Sonntag stattfand, läßt sich der 22. November jedoch beim Stift Dietkirchen nicht in einen sicheren Zusammenhang mit der ersten Urkunde von 841 bringen, am nächsten käme das Jahr 838. Aber diese Überlegung erscheint müßig, da die Beziehung des 22. November auf das Stift, die Miesges (S. 115 Anm. 2) vermutet, wegen des nachweislichen Kirchweihtags am ersten Sonntag nach Oswaldi überhaupt ausscheidet, will man nicht einen Wechsel unterstellen.“

 

Die Gründung des Lubentiusstiftes liegt also vor 840. In der Lubentiuskapelle der Stifts- und Pfarrkirche St. Lubentius ruhen Reliquien des Heiligen. Die Kirche von Dietkirchen ist die einzige Kirche des Bistums Limburg, in der Reliquien eines männlichen Heiligen ruhen.

Das Archidiakonat hatte unter den fünf Trierer Archidiakonaten bis 1778 nach Trier den 2. Rang, rangierte sogar von 1778 bis zu seiner Auflösung 1803 erstrangig. Die Pfarrei zählte 1803 etwa 425 Pfarrangehörige, die zumeist vom Stift lebten. Die Stiftsherren waren die Herren, was heute noch in der Bezeichnung „Herrnberg“ weiterlebt.


Grundriss der Kirche I
Abbildung aus Wilhelm Schäfer, St. Lubentius zu Dietkirchen, S. 121, Wiesbaden 1966

Grundriss der Kirche II
Abbildung aus Wilhelm Schäfer, St. Lubentius zu Dietkirchen, S. 121, Wiesbaden 1966


Grundriss der Kirche IIIa
Abbildung aus Wilhelm Schäfer, St. Lubentius zu Dietkirchen, S. 121, Wiesbaden 1966


Grundriss der Kirche IIIb
Abbildung aus Wilhelm Schäfer, St. Lubentius zu Dietkirchen, S. 122, Wiesbaden 1966


Grundriss der Kirche nach 1885
Abbildung aus Wilhelm Schäfer, St. Lubentius zu Dietkirchen, S. 122, Wiesbaden 1966


Lahnfähre (wahrscheinlich zwischen 1940-1950er Jahre)
Sammlung Ludwig Ries

Lahnfähre

Eine wichtige Aufgabe fiel in den vergangenen Jahrhunderten der Lahnfähre in Dietkirchen zu. Sie wird in einer Urkunde des Stiftprobstes Rambert erwähnt, der zwischen 1084 und 1098 nachweislich urkundlich als Archidiakon belegt ist. Er belehnte in dieser Zeit die Brüder Rembold, Wolfhart und Gerhard mit der Fähre zu Dietkirchen. Diese Urkunde ist übrigens die älteste in Kopie vorhandene Urkunde des Stiftes von Dietkirchen. Die Wichtigkeit der Fähre wird damit auch durch diese Urkunde hervorgehoben.

Die Hauptaufgabe des Fährbetriebes lag in der Übersetzung der jenseits der Lahn lebenden Pfarrgemeindemitglieder und anderer Passagiere. Zur Pfarrgemeinde gehörten die Gläubigen aus Mühlen, Eschhofen, Lindenholzhausen und Dehrn. Wie aus späteren Unterlagen hervorgeht, bestehen die Aufgaben des Fährmannes darin, dass er dafür zu sorgen hat, dass das Schiff, das Seil und alles zur Fähre gehörende Utensilien in Ordnung gehalten werden. Ferner hat er die Geistlichkeit so oft wie notwendig von einem Ufer zum anderen überzusetzen. Wird das Hl. Sakrament auf der anderen Lahnseite benötigt, so muss der Fährmann bei Tag oder auch Nacht zur Verfügung stehen.

1959 wurde der Fährbetrieb eingestellt, 1976 noch einmal durch die Stadt Limburg reaktiviert. Bedingt durch technische Probleme der Fähre wurde der Betrieb aber endgültig 1980 eingestellt. Als Ersatz wurde am 29. Oktober 1989 eine 145 Meter lange und 3,30 Meter breite Rad- und Fußbrücke aus Holz eingeweiht, mit der ein alter Traum von Dietkirchen und den Ortschaften jenseits der Lahn Wirklichkeit wurde.

Dietkircher Markt

Zur Ortsgeschichte gehört auch der Dietkirchener Markt. Bezeugt ist der Markt am Lubentiustag zum ersten Mal im Jahr 1538, die ersten Anfänge sind nicht mehr zu datieren, jedoch geht man davon aus, dass bereits im 13. Jahrhundert am Tage des Hl. Lubentius am 13. Oktober Markt gehalten wurde (siehe Wolf-Heino Struck, Von den Jahrmärkten auf dem Westerwald, Nass. Annalen 1962). Die Ursprünge des Marktes liegen damit also wahrscheinlich im Hochmittelalter. So gibt es einen Hinweis im Limburger Stadtbuch von 1548, demzufolge bereits 1378 den Händlern des Limburger Michaelismarktes und auch denen, die den Dietkircher Markt besuchten, freies Geleit zugesichert wurden (Marie Luise Crone, Dietkirchen, 1991).
Der Markt war als Vieh-, Kram- und Flachsmarkt ausgezeichnet und gehörte zu den „Hauptmärkten in den kurtrierischen Landen“. Aus Nah und Fern kamen früher die Besucher zum Markt. So sollen noch 1773 insgesamt 101 Gewerbetreibende den Markt beschickt haben: jeweils 2 Eisenkrämer, Nagelschmiede und Weißgerber, je 7 Strumpfweber und Metzger, 11 Wollweber, 14 Wirte, 27 Krämer und 28 Bäcker. Gegen Ende des 17. Jahrhunderts soll der Markt seinen Höhepunkt gehabt haben. So seien 4-5 Bierwirte, 10-12 Metzger oder Garköche, 24 Bäcker und 28-30 Weinwirte auf dem Markt aktiv gewesen. Über die Anzahl der vertretenen Handwerker gibt es keine Belege, doch wird davon auszugehen sein, dass es auch von ihnen eine Vielzahl gab, die den Dietkircher Markt belebten, da die Westerwälder Märkte generell stark von Krämern und Handwerkern besucht waren (siehe Wolf-Heino Struck, Von den Jahrmärkten auf dem Westerwald, Nass. Annalen 1962).

In der Mitte der 30 Jahre des 20. Jahrhunderts wurde dann in Limburg durch die nationalsozialistische Organisation „Kraft durch Freude“ massiv eine Gegenveranstaltung eingerichtet, um den Dietkircher Markt in den Hintergrund zu drängen. Man hatte die Limburger Veranstaltung auf den gleichen Tag gelegt, an dem auch der Dietkircher Markt stattfand. Diese Veranstaltung führte dann sowohl in der Zeit der 30er Jahre als auch durch ihre Wiederkehr nach den Kriegsjahren mehr und mehr zur Verdrängung des Dietkircher Marktes, der dann in den 50er/60er Jahren endgültig sein Ende fand.

Seit 1991 ist der Dietkircher Marktbetrieb durch die 3jährige Ausrichtung eines „Historischen Dickerischer MARKTES“ wieder aufgelebt, organisiert und durchgeführt von den Dietkircher Vereinen.


Postkarte vom Dietkircher Markt
Poststempel 06.10.1898
Sammlung Ludwig Ries


Postkarte vom Dietkircher Mark
Poststempel 04.10.1900
Sammlung Ludwig Ries


„Der Galgenbaum“  Jacques Callot (1632).
Die Abbildung zeigt die Exekution von Dieben sowie vermutlich auch Marodeuren, die um ihr Leben würfeln (in der Abb. rechts). Die Maßnahme ist kein Willkürakt, sondern erfolgt im Beisein von Geistlichen und entspricht dem damaligen Kriegsrecht, zur Aufrechterhaltung der militärischen Disziplin.
Quelle: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Jacques_Callot,_The_Hanging,_c._1633,_NGA_51931.jpg


Irishes Hochkreuz auf dem Gefangenefriedhof des I. Weltkrieges

Kriege

Von kriegerischen Ereignissen wurde das Dorf in den vergangenen Jahrhunderten nicht verschont. So kam es während der Bauernkriege 1524/1525 zu Plünderungen im Stift durch Bewohner der Nachbargemeinde Dehrn. Auch während des 30jährigen Krieges (1618-1648) kam es zu Beeinträchtigungen durch Plünderungen und Einquartierungen. Es wird von großen Brandschäden des Stiftskirchendaches berichte und auch von der Verwüstung von 2 Stifthäusern auf der Südseite der Kirche. Die meisten Stiftherren selbst haben sich wohl in dieser Zeit ins Exil begeben und damit den Ort auch geistlich alleine gelassen (Wolf-Heino Struck, Das Stift St. Lubentius in Dietkirchen, Seite 71). Dieser Krieg schien auch nachhaltige Auswirkungen auf die Geistlichkeit gehabt zu haben, wird doch berichtet, dass Erzbischof Karl Kaspar von der Leyen am 29. April 1662 im Stift eine außerordentliche Visitation vorgenommen hat, bei der konstatiert wurde, dass sich die Kanoniker bei Strafe von 2 Goldfl. künftig hüten sollen, in Limburg die Schenken (popinas) zu besuchen und dort mit Spielern und andern Skandalmachern zusammenzusitzen (Wolf-Heino Struck, Das Stift St. Lubentius in Dietkirchen, Seite 71/72).

 

Im 1. Weltkrieg wurde bei Dietkirchen ein Kriegsgefangenenlager eingerichtet, in dem bis zu 12.000 Kriegsgefangene lebten. Noch heute befindet sich in der Nähe des ehemaligen Lagers eine Kriegsgäberstätte, auf der viele verstorbene Kriegsgefangene beerdigt wurden. Dietkirchen hatte 13 Tote Mitbürger und 2 Vermisste zu beklagen.

Auch der 2. Weltkrieg brachte Kummer und Leid über Dietkirchen. Es waren am Ende 46 Gefallen und 26 Vermisste aus dem Ort zu verzeichnen. Pfarrer Wilhelm Breithecker, am 1. Februar 1939 als Pfarrer nach Dietkirchen gekommen, wurde am 7. März 1939 verhaftet. Über Gefängnisstationen in Kassel, Halle und Berlin Alexanderplatz kam er 1940 in das KZ Sachsenhausen Oranienburg. Im November 1940 wurde er mit anderen Geistlichen nach Dachau verlegt, wo er bis zu seiner Freilassung am 28. März 1945 verblieb.

Stadtteil von Limburg

1971 gab die Gemeinde ihre Selbständigkeit auf und wurde als erste der umliegenden Orte von der Stadt Limburg eingemeindet. Der Stadtteil Dietkirchen hat mit Stand September 2019 1.724 Einwohner (Quelle: www .limburg.de, 27.12.2019).


Wappen_limburg_color

Es gibt sicherlich noch vieles mehr über das Dorf Dietkirchen herauszufinden, was zum Teil derzeit sicherlich noch in verborgenen Quellen liegt.

 Quellen:

  • Frau Dr. Marie-Luise Crone, Geschichte eines Dorfes im Schatten des St. Lubentiusstiftes Dietkirchen (ISBN-Nr 3-9802789-0-5)
  • Peter Paul Schweitzer, Reckenforst, 2005, https://ippsch.de/index.php/erforschtes/oertlichkeitsnamen-im-kreis-limburg-weilburg
  • Wolf-Heino Struck, Das Stift St. Lubentius in Dietkirchen, 1986, Walter de Gruyter – BERLIN – NEW YORK
  • Wolf-Heino Struck, Von den Jahrmärkten auf dem Westerwald, Nass. Annalen 1962
  • Karl Wurm in in Wilhelm Schäfer: Die Baugeschichte der Stiftskirche St. Lubentius zu Dietkirchen im Lahntale, 1966, Selbstverlag der Historischen Kommission für Nassau
  • Karl Wurm, Vorbericht über die Abschlußgrabung unter der Stiftskirche von Dietkirchen/Lahn im Sommer 1965, in „Fundberichte aus Hessen, 5. u. 6. Jahrgang, 1965/66, Verlag Rudolf Habelt Verlag, Bonn“